Er lebt schon mehr als vier Jahrzehnte in Berlin, trotzdem ist für ihn die Pflege der ungarischen Kultur und Tradition bis heute sehr wichtig. Ich sprach mit Herrn Dr. László Hetey, prägendes Mitglied der ungarischen Gemeinschaft in Berlin und bereits seit 15 Jahren Vorsitzender der “Berliner Ungarischen Vereinigung e.V.”
Welche Erinnerungen haben Sie über Ihre Zeit in Ungarn?
Ich wuchs in einer alt-eingesessenen Pécser Juristenfamilie auf - mit katholischer und auch Pfadfindertradition. Obwohl in den 1950er Jahren die kommunistische Parteidiktatur die kirchlichen Aktivitäten unterdrückte und die Pfadfinderbewegung auflöste, legten meine Eltern großen Wert darauf, daß wir Kinder in der gleichen christlichen Atmosphäre aufwachsen sollen, wie einst sie selbst. Folglich wurde ich Mitglied in einer illegalen Pfadfindergruppe, die nach außen als eine “Indianergruppe” in Erscheinung trat - in der Obhut der Katholischen Kirche, unter Leitung von Paulinerpatern. Wir haben als Indianergruppe die üblichen Pfadfinderaktivitäten durchgeführt: wir machten fast jedes Wochenende schöne Wanderungen im nahen Mecsek-Gebirge, im Sommer führten wir dort längere Zeltlager durch… mit Spielen, Vorträgen, abendlichem Lagerfeuer, Gesängen u.a. und unser Pater, Pál Bolváry hielt auch Gottesdienste am Lager, im Wald.
Über diese “Katakomben-Pfadfinderei” hat László Zsongor Aczél - mein damaliger “Dakota-Bruder”, späterer Paulinermönch - 2005 ein ausführliches Buch geschrieben (Dakota war der Indianername unserer Gruppe). In dem Buch: “Glut unter der Asche - Dokumente und Erinnerungen über das Katakombenleben der Pécser Pfadfinder: (1947) - 1952 - 1965…” sind unsere damaligen Aktivitäten auf der Grundlage von früheren Notizen, Zeltlager-Tagebüchern, Fotos u.a. ausführlich beschrieben.
Für mich waren diese in meiner Familie und bei den Pfadfindern verbrachten Jahre sehr bestimmend - sie gaben doch ein Wertesystem fürs ganze Leben, wofür ich bis heute dankbar bin. Diese Zeit endete für mich 1960, als ich gleich nach dem Abitur als ungarischer Stipendiat zum Studium an eine DDR-Universität aufgenommen wurde und ich nach Leipzig umzog. (Die Pécser Pfadfinderbewegung wurde im Februar 1961 durch die Staatssicherheit (ÁVO) auf eine typisch kommunistische Art beendet… wegen dieser “konspirativen Tätigkeit” mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen u.a., unser Pater Pál kam für mehrere Jahre ins Gefängnis, die Leiter der Pfadfindergruppen - so auch meine Schwester Melinda - wurden von den Universitäten geschmissen, in Schauprozessen verurteilt usw.).
Wann kamen Sie nach Deutschland?
Im Jahre 1960 kam ich an eine DDR-Universität und begann mein Biochemie-Studium. Während meines Studiums habe ich meine spätere Ehefrau, Hanna Grambow kennengelernt und 1966 haben wir geheiratet. Nach dem Abschluß meiner Studien haben wir uns dazu entschlossen, unser gemeinsames Leben in der DDR weiterzuführen (dies wurde von der damaligen Ungarischen Regierung nach längerer Zeit auch genehmigt). Meine ganze berufliche Tätigkeit erfolgte auf dem Gebiet der biochemischen Pharmakologie: lange Jahre habe ich in Forschungslaboratorien tierexperimentell gearbeitet, später war - und bin - ich als Privat-Dozent für Pharmakologie an der Humboldt-Universität und an der Berliner Charité aktiv.
In den 1970er und 1980er Jahren machten wir in Ost-Berlin die Erfahrung, daß das politische System der DDR immer intoleranter, diktatorischer wurde. Deswegen wollten wir nicht länger in dieser Umgebung leben und hier alt werden… und das wollten wir auf keinen Fall, daß unsere Kinder in diesem System aufwachsen und ihr Leben in der DDR verbringen. Folglich haben wir uns im Jahre 1986 dazu entschlossen, bei den Behörden der DDR und von Ungarn - bezugnehmend auf die humanitären Grundsätze der KSZE-Schlußakte von Helsinki - Ausreiseanträge nach Westdeutschland zu stellen. Nach dreijährigem bangen Warten haben wir dann die Ausreiseerlaubnis tatsächlich erhalten. Im April 1989 konnten wir mit all unseren Sachen und unseren Möbeln von Ost-Berlin nach West-Berlin “auswandern” (nach gut halbem Jahr fiel dann die Berliner Mauer!).
Unsere erste Station war das total überfüllte Notaufnahmelager Marienfelde: dies war für uns doch eine interessante, vielleicht etwas an die oft gehörte “Ellis-Island-Romantik” erinnernde Erfahrung, eigenartiges Erlebnis. Zum Glück haben sich dann unsere Lebensumstände in der neuen West-Berliner Umgebung relativ schnell normalisiert. So sind alle Mitglieder unserer großen Familie - sieben, inzwischen erwachsene Kinder und bisher neun Enkel - in dem hiesigen demokratischen System ohne Probleme gut integriert. Wir sind - mit meiner Frau - sehr froh darüber, daß wir mit ihnen in sehr gutem Verhältnis sind, und daß auch all unsere Kinder untereinander gute Kontakte pflegen.
Wie kamen Sie zu dem ungarischen Verein?
Das Haus Ungarn (das spätere Collegium Hungaricum) war zu DDR-Zeiten ein wichtiger Treffpunkt der ostberliner und randberliner Ungarn, wo sich ein großer ungarischer Freundeskreis etabliert hat. Dieser konnte lange Zeit nur ein Freundeskreis bleiben, da in der DDR die Gründung solcher eingeschriebenen Vereine nicht möglich war. Im Jahre 1990, im Laufe der deutschen Wiedervereinigung wurde aus diesem Freundeskreis die Berliner Ungarische Vereinigung e.V. gegründet. Wir lebten da bereits in Westberlin und damals war noch der Kontakt zwischen den beiden Stadtteilen ziemlich schwierig. So erfuhr ich erst einige Monate später von der Vereinsgründung und konnte mich dann als neues Mitglied dem Verein meiner früheren Bekannten anschließen. In 1999 wurde ich in die Vereinsleitung gewählt und im Jahre 2000 wurde ich Vorsitzender des Vereins, der ich nach 15 Jahren noch immer bin.
Was ist das Hauptanliegen des Vereins?
Auch wenn unser Verein seinen Ursprung in einem ostberliner ungarischen Freundeskreis hat, kommen unsere Mitglieder aus allen Teilen des vereinten Berlins, und irgendwelche Ost-West-Differenzen gibt es lange nicht mehr. In den vergangenen Jahren waren wir bemüht, die ungarische Kultur und Tradition in unserer multiethnisch-multikulturellen Stadt zu pflegen und zu verbreiten, sowie geschichtliche, soziologische, ethnologische u.a. Themen mit Ungarnbezug zu vermitteln. Außerdem legen wir Wert darauf, eine hiesige ungarische Kommunität zu schaffen, die besonders an unseren Stammtisch-Abenden gelingt. Natürlich veranstalten wir öfter deutschsprachige Abende, damit ein breiteres Publikum erreicht werden kann. Dieses Vorgehen zeigt sich auch bei unserer zweisprachigen Zeitung: Berlini Híradó, in der jeder Leser die für ihn interessanten Artikel, Berichte und Programmhinweise findet - auf ungarisch oder auch auf deutsch. Ferner erscheint es uns wichtig, auch mit den in letzter Zeit hierher gekommenen ungarischen Studenten, Arbeitnehmern und jungen Familien Kontakt aufzunehmen und nach Möglichkeit auch sie in das Vereinsleben einzubeziehen.
Was sind Ihre schönsten Erinnerungen aus dem Vereinsleben?
Es ist sehr schwer, eine Veranstaltung oder ein Erlebnis hervorzuheben. Die meisten Vortragsabende mit anschließenden gemütlichen Gesprächsrunden, die Feierstunden zu nationalen Feiertagen sowie die schönen Weihnachtsfeiern, unsere Ausflüge und die sogenannten “Kiezwanderungen” sind alle bleibende Erinnerungen. Jedes Jahr organisieren wir ein-zwei kulturbetonte Führungen in einem Berliner Bezirk (Kiez) und einen mehrtägigen Ausflug in eine berühmtere deutsche Stadt oder ins Ausland. Dabei kommen wir oft mit den dortigen ungarischen Vereinen zusammen. Als besonders schöne Erinnerung würde ich unseren letzten Ausflug nach Halle/Saale oder die frühere Reise nach Krakau und die dortigen gemeinsamen Abende hervorheben. Es ist inzwischen Tradition bei uns, daß eine/r unserer Mitglieder über die jeweilige Veranstaltung des Vereins in unsere Zeitung: Berlini Híradó einen Bericht schreibt. So können wir die aktuellen sowie früheren schönen Ereignisse unserer Gemeinschaft öfter beim Nachlesen in den bisher erschienenen 38 vielseitigen, niveauvollen Híradó-Exemplaren wiedererleben.
Wie oft fahren Sie nach Ungarn?
Jedes Jahr. Wir planen unsere Reise immer so, dass wir die jeweiligen Besuche von Verwandten und Freunden mit den “Akademischen Tagen” der Evangelischen Akademie für Ungarn in Europa verbinden können. Diese Konferenz ist eine einwöchige, ökumenisch ausgerichtete Veranstaltung mit interessanten Vorträgen, Diskussionen und abendlichen kulturellen Vorführungen, die jedes Jahr an einem anderen Ort des Karpatenbeckens von der dortigen ungarischen Gemeinde durchgeführt wird. Dank dieser Veranstaltungen konnten wir viele geschichtsträchtige Orte mit ihren Sehenswürdigkeiten kennenlernen, auch verschiedene ungarische Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns - mit ihren Traditionen, Gewohnheiten u.a. Natürlich habe ich über diese interessanten Erlebnisse und Erkenntnisse, sowie über unsere dortigen netten Bekanntschaften jeweils ausführlich im Berlini Híradó berichtet.